An der Straße zwischen Döbeln und Roßwein, in unmittelbarer Nähe zur uralten Burgruine Kempe im lieblichen Muldental liegt das Schweizerhaus.
Wollen wir das Morgenrot seiner Entstehung aufgehen sehen, so müssen wir über 150 Jahre in unserer Geschichte rückwärts schreiten.
Die Talstraße wurde in den Jahren 1855 bis 1857 erbaut. Der erste Teil ging bis zur Brücke in Niederstriegis, die noch bis nach dem Ersten Weltkrieg die Initialen „JR“ für Johann Rex, den damaligen König von Sachsen, trug. Als der König am 8. August 1857 die neue Straße in Augenschein nahm, besuchte er auch das Schweizerhaus. Der Chronist vermerkte die königlichen Worte: „Ein schönes Haus, sehr anheimelnd.“
Der zweite Bauabschnitt der Talstraße von Niederstriegis bis nach Roßwein wurde durch Spekulationen des Amtshauptmannes Vieth von Golßenau sehr in Frage gestellt, so daß dieser seinen Dienst quittieren mußte.
Das Schweizerhaus ist ein von der Neogotik beeinflußtes Ausflugslokal im Schweizer Stil. Es wurde in den Jahren 1856/57 von dem rührigen Maurermeister Hoffmann aus Döbeln erbaut. Am Vormittag des 24. Mai 1857 wurde das Haus unter großer Beteiligung der Bevölkerung aus Niederstriegis, Mahlitzsch, Otzdorf, Littdorf, Döbeln und Roßwein eröffnet.
Sein erster Wirt war der ehemalige Ratskellerpächter von Roßwein, Johann Jakob Rüschpler. Sein Nachfolger wurde A. Pönitz, der aber nicht allzu lange blieb, sondern in Roßwein die Wettinhöhe erbaute. Später kam es in den Besitz der Familie Thiele, bei der es mehr als achtzig Jahre verblieb. Im Jahre 1914, am Beginn des Ersten Weltkrieges, führte das Geschäft Frau verw. Thiele, nach Kriegsende übernahm es der Sohn Kurt Thiele. Er steuerte das Schweizerhaus durch die schweren Zeitläufe in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit sicherer Hand und geistiger Kraft leitete er das Schweizerhaus durch die Nachwehen des verlorenen Weltkrieges, der schmachvollen Inflation. Am 16. Februar 1923 kostete ein Liter Milch 1000 Mark, ein Pfund Brot 700 Mark, ein Pfund Fleisch 4000 Mark und ein Liter Bier 600 Mark.
Der unglückseligen Inflation folgte nach kurzem Aufflackern des industriellen Aufstiegs eine lang anhaltende Wirtschaftskrise, die ein Millionenheer von Arbeitslosen heraufbeschwor. Auch diese Zeit überwand Gastwirt Thiele durch Umsicht und Fleiß. In seiner Schaffensperiode wurden unzählige Feste Tanzvergnügen, Erntefeste, Theateraufführungen und Konzerte im Schweizerhaus veranstaltet. Nach einem pflichterfüllten, arbeitsreichen Leben verstarb er im Alter von 83 Jahren am 30. Oktober 1965. Die Schwestern Christa und Marga Thiele, seine Töchter, konnten nicht zuletzt dank der Hilfe von Stammgästen das Familienunternehmen weiterführen. Es war nicht leicht, die Traditionen des Schweizerhauses in den Zeiten des kulturellen Niederganges aufrechtzuerhalten. Die Villa Marie mußte an den Staat abgegeben werden, der stilvolle Gartensaal wurde als Lager genutzt und verkam völlig.
Am 14. September 1987 ging das Schweizerhaus in den Besitz der Familie Sturm über, die sich der Traditionspflege verpflichtet fühlt. Am 1. Januar 1990 wurde das Schweizerhaus zum Denkmal ernannt. Es wurden große Anstrengungen unternommen, um das Gaststättenensemble in früherer Schönheit wiedererstehen zu lassen, 2007-2009 wurden die wohl umfangreichsten Restaurierungen nach seiner Erbauung in guter Zusammenarbeit mit der Denkmalbehörde abgeschlossen.
Verfasst Januar 2010 G.Sturm